Die Stecknadel im Heuhaufen
Als sie die Nadel losließ, fiel ihm gleichzeitig auch die Fassung aus dem Gesicht.
Was?! Die soll ich in diesem Haufen Heu finden?!
Die Aufgabe war von seiner Herrin ganz eindeutig als unlösbares Dilemma geplant. Eine Stunde Zeit, um ihr die Nadel auf ihre Handfläche zu legen. Naja, der Haufen, den sie da im Wohnzimmer vorbereitet hatte, war ja nicht so unglaublich groß. Dann mal los.
Es gefiel ihm, wie seine Herrin ihn im Sessel sitzend beobachtete. Der mechanische Wecker neben ihr tickte laut bei jeder Bewegung des Sekundenzeigers. Psychologische Kriegsführung. Methodisch fing er an, kleine Portionen des Heus zur Seite zu schieben, auszubreiten und durchzusehen. Tick, Tick, Tick, …
Als eine halbe Stunde verstrichen war, wurde er so langsam nervös. Die Strafe würde ganz schön hart werden. Er war die Woche über ein paarmal zu oft frech gewesen. Danach hatte er sie viel über ihrem schwarzen Notizbuch brüten sehen, das verhieß normalerweise stundenlange Torturen. Tick, Tick, Tick, …
Zehn Minuten vor dem Ende der Aufgabe rollten ihm vor lauter Verzweiflung die ersten Tränen über die Wangen. Er hatte Angst, sein Kopf drehte sich, ihm war speiübel, wo war das Ding nur?! Er musste einfach die Aufgabe lösen! Die Nadel finden und ihr reichen. Die Alternative würde er mehrere Tage lang spüren können. Tick, Tick, Tick, …
Der rettende Gedanke kam ganz plötzlich, als sein Blick auf die alte Kommode hinter seiner zufrieden dreinblickenden Herrin fiel. Er stürmte darauf zu, riss die Tür auf, kramte den Magneten raus und begann mit neu entfachter Hoffnung das systematisch auf dem Boden verteilte Heu zu durchkämmen. Tick, Tick, Tick, …
Nur noch wenige Sekunden auf dem Wecker, da hielt er plötzlich das hauchdünne Stückchen Metall zwischen seinen Fingern. Triumphierend und mit tränengeröteten Augen ging ihm ein Gedanke durch den Kopf: Die Nadel im Heuhaufen, meine Herrin, das bin ja wohl ich hier. Sie streckte ihm die Hand entgegen. Tick, Tick, Tick …
„Hoppla,“ flüsterte er zurück und schaute sie dabei demonstrativ an.
Als er die Nadel losließ, fiel ihm gleichzeitig auch die Liebe in ihrem Gesicht auf.
Autor: herr_piep (Joyclub), für Triskelia & Friends wurden die ursprünglichen Geschlechter umgekehrt